Astrid Hassler, 22.09.2020
Unter dem Begriff Professionalisierung wird in der fachwissenschaftlichen Literatur Vielfältiges verstanden. Generell lässt sich formulieren, dass Professionen einen besonderen Typus eines Berufs darstellen (1). Unter Professionalisierung im weiteren Sinne versteht man die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem Beruf (entspricht: Verberuflichung). Eine solche Professionalisierung geht oft mit einer Steigerung der Effizienz einher. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Im engeren Sinne bezeichnet Professionalisierung die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession (von lateinisch professio «Bekenntnis, Gewerbe, Beruf»). Jede berufliche Laufbahn hat dabei bestimmte Zugangsvoraussetzungen, Qualifikationen und Entwicklungsmöglichkeiten. Als Profession wird dabei ein akademischer Beruf mit hohem Prestige betrachtet, der vor allem wegen der in der Aufgabe liegenden Herausforderung ausgeübt wird. Weitere Merkmale einer Profession sind: ein hoher Grad an beruflicher Organisation (Standesorganisation), persönliche und sachliche Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit in der Tätigkeit sowie eine eigene Berufsethik. Die Profession wird abgegrenzt gegen den Job (befristete Tätigkeit, ausschliesslich zum Gelderwerb) und zum Beruf, der den Lebensunterhalt auf Dauer sichern soll (2).
In den 1950er-Jahren begann die Professionalisierung von Supervision, Coaching und Organisationsentwicklung (-beratung). In den 1970er-Jahren entstanden im deutschsprachigen Raum Berufsverbände, welche die Professionsentwicklung vorantrieben.
Stationen dieser Professionalisierung:
Für die Professionalisierung von Supervision/Coaching und Organisationsberatung ist viel getan und viel erreicht worden. Berater*innen können in einem berufspolitisch und gesetzlich gesicherten Rahmen tätig sein, eigene Beratungsfirmen gründen und ihren Lebensunterhalt mit der Ausübung dieser Profession verdienen.
Ein Blick auf die Professionsentwicklung anderer Berufsgruppen zeigt einen weiteren Schritt auf. Fachhochschulen und Höhere Fachschulen wie zum Beispiel Sozialarbeit entwickelten Weiterbildungen für Fachpersonen, die in ihrer Praxis Studierende ausbilden. Sie machten dies zu einem Standard: Wer in der Praxis ausbildet, hat Ausbildungskompetenzen zu erwerben und nachzuweisen. Auch die Berufsausbildung setzt diesen Standard – wer ausbildet, muss die Legitimation und die Kompetenz dazu erwerben –, alleine die berufliche Fachausbildung genügt nicht, um Personen im Praxisteil der Ausbildung im Lernprozess zu begleiten und auszubilden.
Einzelne Berufsverbände verwandter Beratungs- und Therapiemethoden haben diesen Standard ebenfalls beschrieben, eingeführt und überprüfen ihn auch. Einige Verbände führen Seminare zum Erwerb dieser Ausbildungskompetenz im praktischen Bereich selbst durch und bilden Lehr- und Ausbildungssupervisor*innen für ihre Berufsausbildungen aus.
Die Ausbildung der Ausbildner*innen zeigt ihre Wirkung einerseits in einer verbesserten Qualität des praktischen Ausbildungsteils und damit der gesamten Ausbildung und andererseits in einer weiteren Theorieentwicklung des praktischen Ausbildungsteils und der Theorien und Modelle des Berufs insgesamt.
Interessant ist, dass die Lehr- und Ausbildungssupervision (LSV/ASV) von diesen Professionalisierungsschritten kaum tangiert wurde. Die LSV/ASV gehört zum praktischen Ausbildungsteil einer Ausbildung für Supervision/Coaching und Organisationberatung. Die Standards der grössten Berufsverbände für Supervision/Coaching/Organisationsberatung für diesen praktischen Teil sind gering und betreffen in der Regel die Anzahl der durchzuführenden Lernsupervisionen und der zu absolvierenden Stunden Lehrsupervisionen (Einzel- und Gruppenlehrsupervisionen). Die Lehr- und Ausbildungssupervisor*in braucht zurzeit einen Kompetenznachweis, der einem Erfahrungsnachweis über durchgeführte Beratungen entspricht, um LSV/ASV durchzuführen. Berufsverbände schreiben einige wenige Erfahrungsnachweise vor und übertragen die Auswahl der Lehrsupervisor*innen dem Ausbildungsinstitut. In einigen Fällen macht das Ausbildungsinstitut – nicht der Berufsverband – Vorgaben, welche Kompetenzen und Erfahrungen durch die Lehrsupervisor*in nachzuweisen sind.
Obwohl Lehrsupervision auch als «Herzstück» der Supervisionsausbildung (4) bezeichnet wird, wird dieses Herzstück von den drei grössten Berufsverbänden (A, CH und D) im Wildwuchs belassen. Die Verbände erheben keinen professionellen Standard und fordern keinen speziellen Kompetenzerwerb für die Ausübung von Lehr- und Ausbildungssupervision. Seit circa drei Jahrzehnten gibt es in der Fach-Community immer wieder Stimmen, die höhere Standards für die Ausübung von LSV/ASV fordern, zugunsten einer verbesserten Qualität des praktischen Ausbildungsteils. Es kommt und es kam jedoch nie zu diesem weiteren Professionalisierungsschritt.
Der Blick auf die Professionsentwicklung anderer Berufsgruppen zeigt, dass die Ausbildung der Ausbildner*innen eine theoretische und methodische Weiterentwicklung des Berufs befördert. Dies würde bedeuten, Kompetenzanforderungen für die Lehr- und Ausbildungssupervisor*innen würden zu mehr Qualität im praktischen Ausbildungsteil sowie zu besser ausgebildeten Berater*innen führen. Zudem würde dies zur weiteren Theorie- und Methodenentwicklung in der Beratung beitragen. Es wäre ein Gewinn für alle Akteur*innen in diesem Feld: Berufsverbände und Ausbildungsinstitute könnten im Marktumfeld eine verbesserte Ausbildungsqualität nachweisen und damit Alleinstellungsmerkmale zeigen und kommunizieren. Die Professionalisierung erhielt einen neuen Schwung und das würde allen Berater*innen im freien Markt einen Konkurrenzvorteil verschaffen.
Professionalisierung ist immer entwicklungsfähig. Die Gründe, die für eine weitere Professionalisierung der Lehr- und Ausbildungssupervision sprechen, sind für mich überzeugend. Ich würde eine Ausbildung für Lehrsupervisor*innen und eine stärkere Standardisierung der Lehrsupervision begrüssen.
(1) Merten, Roland (2000): Professionalisierung. In Stimmer, Franz (Hrsg. 2000): Lexikon der Sozialpädagogik und der Sozialarbeit. R. Oldenbourg Verlag, München/Wien.
(2) Mieg, Harald A. Seite 30 ff. In: Dick, Michael/Marotzki, Winfried/Mieg, Harald (Hrsg.) (2016): Handbuch der Professionsentwicklung. Verlag Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn.
(3) Schibli, Silvia/Supersaxo, Katja (2009): Einführung in die Supervision. Haupt UTB, Bern. S. 13 ff.
(4) Freitag-Becker, Edeltrud/Grohs-Schulz, Mechtild/Neumann-Wirsig, Heidi (Hg.) (2017): Lehrsupervision im Fokus. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen.
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